Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vita Consacrata, Nr. 91
Die dritte Herausforderung kommt von jenen Auffassungen von Freiheit, die dieses fundamentale menschliche Vorrecht von seiner grundlegenden Beziehung zur Wahrheit und zur moralischen Norm loslösen. In Wirklichkeit ist die Kultur der Freiheit ein echter Wert, zuinnerst verbunden mit der Achtung vor der menschlichen Person. Wer aber sieht nicht, zu welchen abnormen Folgen von Ungerechtigkeit und sogar von Gewalt im Leben der einzelnen und der Völker der verfälschte Gebrauch der Freiheit führt? Eine wirkungsvolle Antwort auf diese Situation ist der Gehorsam, der für das geweihte Leben charakteristisch ist. Er stellt uns auf besonders lebendige Weise wieder den Gehorsam Christi gegenüber dem Vater vor Augen und bezeugt, eben von seinem Geheimnis ausgehend, daß kein Widerspruch zwischen Gehorsam und Freiheit besteht. Tatsächlich enthüllt das Verhalten des Sohnes das Geheimnis der menschlichen Freiheit als Weg des Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters und das Geheimnis des Gehorsams als Weg fortschreitender Eroberung der wahren Freiheit. Und genau diesem Geheimnis will die Person des geweihten Lebens durch dieses bestimmte Gelübde Ausdruck verleihen. Sie will dadurch bezeugen, daß sie sich einer Kindschaftsbeziehung bewusst ist, kraft derer sie den väterlichen Willen als tägliche Speise (vgl. Joh 4,34), als ihren Felsen, ihre Freude, ihren Schild und Schutzwall (vgl. Ps 18 [17],3) anzunehmen sucht. So beweist sie, dass sie in der vollen Wahrheit über sich selbst wächst, während sie mit der Quelle ihres Seins verbunden bleibt und darum die tröstliche Botschaft anbietet: »Alle, die deine Weisung lieben, empfangen Heil in Fülle; es trifft sie kein Unheil« (Ps 119 [118],165).
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