Aus Papst Franziskus: Botschaft zum Weltgebetstag um geistliche Berufe 2019
Dazu möchte ich gemeinsam mit euch die Stelle des Evangeliums von der Berufung der ersten Jünger am See von Galiläa betrachten (Mk 1,16-20). Zwei Brüderpaare – Simon und Andreas zusammen mit Jakobus und Johannes – sind gerade bei ihrer täglichen Arbeit als Fischer. In diesem anstrengenden Beruf haben sie die Gesetze der Natur erlernt und manchmal mussten sie ihnen trotzen, wenn die Winde ungünstig waren und die Wellen die Boote durchschüttelten. An manchen Tagen belohnte ein reicher Fischfang die harte Mühe, aber andere Male genügte der Einsatz einer ganzen Nacht nicht, um die Netze zu füllen, und man kehrte müde und enttäuscht ans Ufer zurück.
Dies sind die gewöhnlichen Lebenssituationen, in denen jeder von uns sich an den Wünschen misst, die er im Herzen trägt: Er setzt sich in Tätigkeiten ein, von denen er hofft, dass sie fruchtbar sein mögen, er geht im „Meer“ vieler Möglichkeiten auf der Suche nach der richtigen Route voran, die seinen Durst nach Glück stillen kann. Zuweilen freut man sich über einen guten Fischfang, andere Male jedoch muss man sich mit Mut wappnen, um ein von den Wellen hin und her geworfenes Schiff zu steuern, oder mit der Enttäuschung rechnen, mit leeren Netzen dazustehen.
Wie in jeder Berufungsgeschichte ereignet sich auch in diesem Fall eine Begegnung. Im Vorübergehen sieht Jesus diese Fischer und nähert sich … So ist es mit der Person geschehen, mit der wir uns entschieden haben, das Leben in der Ehe zu teilen, oder so war es, als wir die Anziehungskraft des geweihten Lebens verspürt haben: Wir haben die Überraschung einer Begegnung erlebt und in diesem Augenblick haben wir die Verheißung einer Freude erahnt, die imstande ist, unser Leben erfüllt zu machen. So ging Jesus an jenem Tag am See von Galiläa diesen Fischern entgegen und brach die »Lähmung durch die Normalität« (Predigt am 22. Welttag des geweihten Lebens, 2. Februar 2018) auf. Und sofort richtete er eine Verheißung an sie: »Ich werde euch zu Menschenfischern machen« (Mk 1,17)
Der Ruf des Herrn ist also nicht eine Einmischung Gottes in unsere Freiheit; er ist nicht ein „Käfig“ oder eine Last, die er uns aufgebürdet hat. Er ist vielmehr die liebevolle Initiative, mit der Gott uns entgegenkommt und uns einlädt, in ein großes Projekt einzusteigen, an dem er uns teilhaben lassen will. Er eröffnet uns dabei den Horizont eines viel weiteren Meeres und eines überreichen Fischfangs.
Es ist nämlich Gottes Wunsch, dass unser Leben nicht im Banalen gefangen bleibt, nicht träge in den Alltagsgewohnheiten dahintreibt und nicht Entscheidungen meidet, die ihm Bedeutung verleihen könnten. Der Herr will nicht, dass wir uns damit abfinden, in den Tag hineinzuleben, und denken, dass es im Grunde nichts gibt, wofür sich ein Einsatz voller Leidenschaft lohnen würde; er will nicht, dass wir so die innere Unruhe auslöschen, nach neuen Routen für unsere Fahrt zu suchen. Wenn er uns manchmal einen „wunderbaren Fischfang“ erleben lässt, so tut er dies, weil er uns entdecken lassen will, dass jeder von uns – auf verschiedene Weise – zu etwas Großem berufen ist und dass das Leben sich nicht in den Netzen des Sinnlosen und dessen, was das Herz betäubt, verfangen darf. Die Berufung ist somit eine Einladung, nicht am Ufer mit den Netzen in den Händen stehen zu bleiben, sondern Jesus auf dem Weg zu folgen, den er uns zugedacht hat, für unser Glück und für das Wohl der Menschen um uns.
Natürlich erfordert die Annahme dieser Verheißung den Mut zu einer Entscheidung. Als die ersten Jünger hörten, wie Jesus sie rief, an einer größeren Sendung teilzunehmen, »ließen sie sogleich ihre Netze liegen und folgten ihm nach« (vgl. Mk 1,18). Das bedeutet, dass wir, um dem Ruf des Herrn zu folgen, uns selbst ganz einbringen und das Wagnis eingehen müssen, uns einer völlig neuen Herausforderung zu stellen; wir müssen alles loslassen, was uns an unser kleines Boot binden möchte und uns daran hindert, eine endgültige Entscheidung zu treffen; von uns wird jene Kühnheit verlangt, die uns mit Nachdruck antreibt, den Plan zu entdecken, den Gott für unser Leben hat. Im Grunde genommen können wir uns, wenn wir vor dem weiten Meer der Berufung stehen, nicht länger damit begnügen, auf dem sicheren Boot unsere Netze zu flicken, sondern wir müssen der Verheißung des Herrn vertrauen.