Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vita Consacrata, Nr. 88
Die erste Herausforderung ist die einer hedonistischen Kultur, die die Sexualität jeder objektiven moralischen Norm entbindet, indem sie diese häufig auf das Niveau von Spiel und Konsum herabsetzt und in Komplizenschaft mit den sozialen Kommunikationsmitteln einer Art Vergötterung des Triebes frönt. Die Folgen davon sind für alle sichtbar: Pflichtverletzungen verschiedenster Art, mit denen unzählige psychische und moralische Leiden für die einzelnen und für die Familien einhergehen. Die Antwort des geweihten Lebens besteht vor allem in der freudigen Übung der vollkommenen Keuschheit als Zeugnis für die Macht der Liebe Gottes in der Schwachheit des menschlichen Zustandes. Die Person des geweihten Lebens beweist: was von den meisten für unmöglich gehalten wurde, wird durch die Gnade des Herrn Jesus möglich und wirklich befreiend. Ja, in Christus ist es möglich, Gott mit ganzem Herzen zu lieben, indem man ihn über jede andere Liebe stellt, und so mit der Freiheit Gottes jeden Menschen zu lieben! Dies ist ein Zeugnis, das heute nötiger denn je ist, gerade weil es von unserer Welt so wenig verstanden wird. Es ist ein Angebot an jeden Menschen — an die Jugendlichen, an die Verlobten, an die Eheleute, an die christlichen Familien —, um zu beweisen, daß die Kraft der Liebe Gottes gerade in den Wechselfällen der menschlichen Liebe Großes zu bewirken vermag. Es ist ein Zeugnis, das auch einem wachsenden Bedürfnis nach innerer Klarheit in den menschlichen Beziehungen entgegenkommt. Das geweihte Leben muß der Welt von heute Beispiele einer Keuschheit vor Augen führen, die von Männern und Frauen gelebt wird, die Ausgeglichenheit, Selbstbeherrschung, Unternehmungslust, psychische und affektive Reife beweisen. Kraft dieses Zeugnisses wird der menschlichen Liebe ein fester Bezugspunkt geboten, den die Person des geweihten Lebens aus der Betrachtung der uns in Christus offenbarten dreifaltigen Liebe erfährt. Da sie sich in dieses Geheimnis vertieft, fühlt sie sich zu einer radikalen und universalen Liebe fähig, die ihr die Kraft zur notwendigen Selbstbeherrschung und Disziplin gibt, um nicht der Knechtschaft der Sinne und der Triebe zu verfallen. Die geweihte Keuschheit erscheint somit als Erfahrung von Freude und Freiheit. Erleuchtet vom Glauben an den auferstandenen Herrn und von der Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde (vgl. Offb 21,1), bietet sie auch für die Erziehung zur gebotenen Keuschheit in anderen Lebensformen wertvolle Anregungen.
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